„Ich mache die Arbeit unglaublich gerne.“
„Chef sein ist manchmal auch eine Drecksarbeit!“
Zwei Aussagen eines Mannes, die vielleicht nur deshalb widersprüchlich klingen, weil Ballettchef Martin Schläpfer ein Mann der Widersprüche ist: zugleich gestaltungsmächtig und stark und dabei von einer suchenden Unsicherheit, sich selbst und seine Arbeit hinterfragend. Einer, der sich täglich am Leben reibt.
Martin Schläpfer, der für das Ballett in Düsseldorf so sehr viel getan und damit auch zum Image der Stadt beigetragen hat, wird mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Der Chefchoreograph und Künstlerische Direktor des Balletts am Rhein Düsseldorf Duisburg nimmt die Auszeichnung am 2. Oktober von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue entgegen.
Die Verleihung steht zum Tag der Deutschen Einheit unter dem Motto „Kultur verbindet!“. Neben Martin Schläpfer werden unter anderem die Bratschistin Tabea Zimmermann, die Künstler Neo Rauch und Jim Rakete, Regisseur François Ozon, Regisseurin Caroline Link, Schauspielerin Julia Jentsch, Sängerin Annette Humpe und der Komiker Otto Waalkes mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet.
Wir haben ihn zuhause besucht.
Martin Schläpfer ist der bedeutendste Ballettchef in Deutschland, sein Ruhm reicht über das Land hinaus. Mehrmals in Folge wählten sie das Düsseldorfer Ballett unter seiner Leitung zur „Kompanie des Jahres“. Vor drei Jahren letzten Jahr sollte Schläpfer das Nationalballett in Berlin übernehmen. Doch er verschmähte die Bühne der Hauptstadt und blieb am Rhein. Im obersten Stock seines Reihenhauses hängt ein Wahlplakat von Ex-OB Dirk Elbers. Der hatte ihm das neue Tanzhaus versprochen, mit fünf statt drei Studios und Ruheräumen für die Kompanie. „Ich bin ihm dankbar, dass er uns dieses Haus geschenkt hat“, so Schläpfer, „ich hatte ihm gesagt: wenn ihr baut, bleibe ich.“
Wir sitzen in der Hyatt-Bar und reden. Martin Schläpfer trägt ein helles Hemd und eine maßgeschneiderte blaue Jacke aus Baumwoll-Bouclé, dazu eine helle Jeans und dunkle Schuhe mit blauer Sohle. Er trinkt Bitter Lemon.
Mit Schläpfer zu sprechen, ist eine interessante Erfahrung. Der 58-jährige Schweizer ist ein eher scheuer Mensch, der das Parkett der Öffentlichkeit meidet. Öffnet er sich jedoch, erlebt man eine faszinierende, immens facettenreiche Person. Jedes Wort erscheint abgewogen, keine Antwort kommt reflexartig oder klingt, als habe er sie so schon öfter gegeben.
Schläpfers Erfolg sind abstrakte Stücke, kreativ, oft explosiv und gleichzeitig präzise, wie am Computer berechnet, denn Schläpfer ist Perfektionist. Er habe nicht das perfekte Gehör, sagt er, doch es gelingt ihm gleichwohl, Musik sichtbar zu machen.
Seine Ballettinszenierungen, die er mit dem Buchstaben b (für Ballett) kennzeichnet und durchnummeriert, werden von vielen getragen, nicht von einem Solostar mit Unterstützung des Restes der Kompanie. Nur so passe Ballett eigentlich in diese Zeit, glaubt er. Ballett müsse „mit dem Menschenbild von heute einhergehen“, sagt Schläpfer, nur ein, zwei Solisten, „der Rest Staffage“, das mag er nicht. Ballett ist gut, „wenn die Menschen spüren, das ist für alle“, sagt er. Individualität und Homogenität seien etwa mit „Giselle“ nicht vereinbar.
Schläpfer hat Erfolg, weil die ihm eigene Kreativität ihm hilft, Ballett neu zu denken und zu inszenieren. „Mich interessiert Tanz nicht, der sicher und strukturiert daherkommt,“ sagt er. Deshalb kein „Schwanensee“, kein Handlungsballett. „Ich finde klassisches Ballett ganz toll, aber es würde mich deprimieren, wenn ich das machen würde.“
Was bedeutet Ballett überhaupt für ihn? Schläpfer lässt sich ein klein wenig Zeit mit der Antwort: „Es ist eine Sprache wie die Oper oder das Konzert.“ Tanz sei gut, „wenn die Arbeit gut ist, wenn die Menschen spüren: Das ist für alle … art is for people“, sagt er, fällt wie häufig in unserem Gespräch ins Englische.
Die preisgekrönte Filmerin Annette von Wangenheim hat Martin Schläpfer ein Jahr lang begleitet. Ihr Film „Feuer bewahren – nicht Asche anbeten“ ist ein gelungenes Porträt des Schweizers.
Der Titel des Filmes geht zurück auf den Gelehrten und Heiligen Thomas Morus, dem das Zitat so zugeschrieben wird: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Ähnlich ist das Zitat von vielen Personen der Zeitgeschichte überliefert – etwa von Papst Johannes XXXIII, Gustav Mahler und US-Präsident Benjamin Franklin.
Ein starkes Bild also, das seine Faszination über Jahrhunderte behalten hat. Jetzt der Titel des Schläpfer-Films, in dem er bekräftigt: „Man muss immer stochern, dass es wieder Flammen gibt.“ Die Filmerin lässt ihn das passenderweise sagen, als er tatsächlich im Ofen stochert. Es ist der Holzofen seiner kargen Hütte im Tessin, 1.000 Meter hoch, nur zu Fuß erreichbar. Hier verbringt er in der Regel einige Wochen im Jahr: Kein WLAN, kein Handy-Empfang, kein TV – und sogar auf Bücher verzichtet er hier. Die volle Wucht der Konfrontation mit sich selbst pendelt ihn ein „auf die Mitte“. Da sitzt er vorm Haus, blickt ins Tal, in die Wolken. Mal schaut ein Fuchs vorbei, mal ein Dachs.
Der sympathische Schweizer erweckt im Gespräch den Eindruck des rastlos Suchenden ebenso wie den eines Menschen, der tief in sich ruht. Die Rastlosigkeit spricht nur aus den wachen Augen – keine Unruhe, keine Hektik. Er will Bewegung, Stillstand ist ihm ein Graus. Und, ja, er kann auch explodieren: „In Mainz bin ich häufig aus der Haut gefahren“, gesteht er. Er hasst „Arroganz und Eingebildetsein“. Kunst habe doch immer noch was mit Demut zu tun. Leute, die „immer nur reden und nichts tun“, sind ihm ein Gräuel. Und er mag’s auch nicht, wenn Tänzer zu reinen Arbeitnehmernaturen werden: „Wenn einer sagt, ich bleibe eine Stunde länger, aber nur, wenn ich etwas dafür kriege, dann ist es vorbei.“
Der Neu-Düsseldorfer Schläpfer („Ich gehöre schon etwas zum Düsseldorfer Teig.“) wirkt, als könne sein Akku sich nicht entladen, immer unter Spannung. Vielleicht deshalb wirkt Schläpfers Haus auch so, als habe er etwas „Excitement“ auch nach Hause holen wollen: Die Wände voller Grafitti, irritierend bis verstörend wild und bunt und vielfältig. Im Treppenhaus steht da „Make the best of it – T.T.“. Gemeint ist Tina Turner. Der Filmtitel „Das Feuer bewahren – nicht Asche anbeten“ – in roter Farbe auf einem gelben Rohr in der Küche. Sein Geburtsjahr 1959, an die Wand gemalt, neben einer antiken Uhr, hinter der das Buch „Nemesis“ von Philip Roth klemmt, daneben hängt eine Säge. „Manchmal knall ich auch mal was an die Wand“, sagt er in fast jungenhafter Spitzbübigkeit. In dem selbst inszenierten Chaos finden zwei massive Baumstümpfe mit wie zufällig dort platzierten, aber angeklebten Gegenständen – eine leere Rotweinflasche, weiße Plastikenten, ein kitschiger Gartenzwerg – ebenso ihren Platz wie Dutzende Erinnerungsstücke in der Küche. Hier kocht der Meister, wenn Fleisch, dann ,bio‘, aus Respekt vor der Natur „und wegen der besseren Tierhaltung.“ Im Biomarkt an der Aachener Straße kauft er ein, zum Fleisch trinkt er gern einen Barolo. Er trennt Kohlehydrate und Eiweiß, isst gern Fleisch mit viel Gemüse. Beim Kochen läuft gelegentlich der Fernseher. Die Maischberger guckt er gern, „ab und zu einen Liebesfilm.“
Wenn die Küche in Betrieb ist, sind auch seine felligen Freunde nicht weit, vier Katzen laufen im Haus umher. Im Garten hält er drei Kaninchen. Die hat er immer gemocht, seit er als Kind eines hatte: „Die riechen so gut“, sagt er und lächelt. Und: „Es sind Fluchttiere, die sind so anders.“ In seinem Lieblingsraum, der Wohnküche, steht nicht nur der Laptop, sondern auch ein imposantes Aquarium, ein Thema, mit dem Schläpfer sich bestens auskennt.
Die Liebe zur Natur, zu Tieren, das mag er in den Genen haben, der Großvater war Bauer, daheim in Appenzell. Biobauer war für ihn eine Option, doch zunächst wollte er nur eines: ein berühmter Eiskunstläufer werden.
Wie schön, dass Marianne Fuchs, Inhaberin der angesehenen Ballettschule in St. Gallen, irgendwann im Winter 1975 der junge Martin, damals 15, ins Auge fiel, als er auf einer Eisbahn Pirouetten drehte. Da zeigte jemand Talent für elegante Bewegung und Körperhaltung. „Sie hat mich angesprochen und gefragt, ob ich Ballettunterricht nehmen wolle“, erinnert sich Schläpfer. Schon am ersten Trainingsabend in der Fuchs‘schen Ballettschule fängt er Feuer: „Es hat mich gleich gepackt.“ Das Elternhaus „nicht kunstaffin“. Der Vater, ein Bauernsohn und Stahl-händler, hatte die aufkeimende Liebe zum Ballett „nicht so recht ernst genommen.“
„Mit 15 anzufangen, ist spät“, sagt Schläpfer. Doch Martins herausragende Begabung führt ihn schnell zum Ruhm: Schon zwei Jahre später gewinnt er als bester Schweizer beim Prix de Lausanne ein Stipendium, das ihm ein weiteres Ballettstudium an der Royal Ballet School in London ermöglicht.
Der erste Karrieresprung: Solotänzer in Basel! Dann „Erster Solotänzer“ bei Kanadas führendem Ballett, dem Royal Winnipeg Ballet!
Die Krise mit 27: Er überlegt, Biobauer zu werden, tanzt dann doch wieder – in Bern. Vier Jahre später hängt er das Tanzen an den Nagel und gründet eine Ballettschule namens „Dance Place“ in Basel; hier unterrichtet er vier Jahre lang, bis er einem Ruf des Stadttheaters Bern folgt. Er wird dort Ballettchef, wechselt im Anschluss in gleicher Funktion nach Mainz, wo man ihn heute noch vermisst. Seit 2009 / 2010 ist er Ballettdirektor und Chefchoreograph der Deutschen Oper am Rhein. Den „Ballettdirektor“ will er jetzt nicht mehr geben, zu viel Stress. Die Kompanie mit 45 Tänzern bedeutet nicht nur künstlerische Verwirklichung, sondern auch bürokratischen Ballast. „Chef sein ist etwas, was nicht einfach ist für mich. Zwei Bühnen, vier Premieren im Jahr, es ist ja ein knallhartes Geschäft und Chef sein ist manchmal auch eine Drecksarbeit.“
Und wie gefällt dem Balletgenie unsere Stadt? Schläpfer denkt nach: „Die Stadt hat es nicht nötig, permanent Gründe zu suchen, sich zu loben. Die Stadt ist fast schuldenfrei, hat eine Lebendigkeit – es könnte eine geile Stadt sein. Ich habe das Gefühl, da ist jetzt was am Aufbrechen.“ Düsseldorf könnte „frecher sein, selbstsicherer, es ist eigentlich eine tolle Stadt.“ Düsseldorf könnte mehr explodieren, größer denken, sei dafür aber ein wenig zu selbstgefällig. Bis 2019 ist er hier verpflichtet. „Mir gefällt es hier immer besser“, sagt er nach einer Pause, als hätte er sich besonnen, „es ist ein schöner Platz, ich hab’s hier auch gut.“
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