von Gisela Rudolph

Zum Schieflachen schön hat Barrie Kosky Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ inszeniert und die Wesensart des gebürtigen Kölners Jakob Offenbach mit Wahlheimat Paris wörtlich genommen: Für seinen schrägen, sogar als zynisch bezeichneten Humor, verbunden mit rheinischem Temperament war der Komponist bekannt.

Die Götter müssen verrückt sein, mag sich Offenbach angesichts der kuriosen Mythologie von Himmel und Hölle gedacht haben. Wunderbares Resultat: die Opéra-bouffon „Orpheus in der Unterwelt“, die jetzt im Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein Premiere hatte.

„Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, wusste schon Wilhelm Busch. Er hätte Eurydike (Elena Sancho Pereg), Gattin des Musikus Orpheus (Andrés Sulbarán) aus der Seele gesprochen. Seine Fiedelei geht ihr nämlich gehörig auf die Nerven. Beim Gott Pluto (Florian Simson) in Gestalt des Honighändlers Aristäos findet sie Trost – nicht ahnend, dass es sich um Pluto handelt, dem Gott der Unterwelt, der schon lange auf Eurydike scharf ist.

Orpheus hat’s ein Nymphchen angetan und so entsorgt er die Gattin mit einem Schlangenbiss  sehr gern Richtung Hades. 

Dort wird’s richtig turbulent, als auch die Götter des Olymp mit Jupiter (Peter Bording) aus Langeweile über den braven Olymp und aus Neugier auf die sagenhaft schöne Eurydike in die Unterwelt hinabsteigen. Ein durch und durch queeres Völkchen tummelt sich nun mit wildem Klamauk in der Unterwelt. Ob Tiere in Menschengestalt oder umgekehrt, Männlein, Weiblein – ganz egal findet auch Regisseur Barrie Kosky. So trägt sogar Eurydike über der sexy Corsage ein Phallussymbol, natürlich glitzernd paillettenbesetzt. Statt Glitter und Glitzer sind auf den Röcken beim berühmten Galop Infernal, wie der schmissige Ohrwurm-Cancan in der Hölle eigentlich heißt, die primären Merkmale beider Geschlechter aufgedruckt (Kostüme: Victoria Behr). Kein bisschen anstößig oder vulgär kommt das rüber, das Publikum lacht sich schief und spendet von Beginn der Szene im angenehm unaufdringlichen, nett anzuschauenden Dekor des 19. Jahrhunderts (Bühne: Rufus Didwiszus) reichlich Zwischenapplaus.

Comic-Fan Koskys Coup ist die Umfunktionierung des John Styx zum Spielleiter der Chaos-Satire und löst damit das Dilemma gesprochener Textpassagen in Opern-Libretti.

Max Hopp spricht als Styx, eigentlich der Diener Plutos, nicht nur alle Stimmen, sondern verleiht auch Geräuschen Gehör – vom Laufen über knarrende Türen bis hin zum Haarspray, mit dem Eurydike ihrer Frisur Halt gibt. Urkomische Sprach- und Stimmartistik, mit der Schauspieler Hopp zeigt, dass Kunst von Können kommt. Staunenswert dabei ist nicht zuletzt das perfekte lippensynchrone Zusammenspiel zwischen Sängern und Styx. 

Spielfreude und Tanzeslust (Choreographie: Otto Pichler) von Ensemble und Chor lassen die Zuschauer nicht erst zum Schlussapplaus jubeln. Bravourös aber auch der musikalische Part unter Leitung von Adrien Perruchon. Da schwelgen die Düsseldorfer Symphoniker in Offenbachs wunderschönen Melodien und geben auch,  nicht nur beim Cancan, so richtig schön Gas. Elena Sancho Pereg ist mit silbrig-glitzerndem Koloratur-Sopran, inklusive des „hohen e“, eine in jeder Hinsicht schöne Eurydike voller Witz und Temperament. Das gilt auch für ihre Solisten-Kollegen, besonders Romana Noack als Cupido, Katarzyna Kuncio als Jupiter-Gattin Juno ebenso wie Heidi Elisabeth Meier als Venus. Und natürlich Susan Mclean als köstlich-gestrenge Öffentliche Meinung, die (erfolglos) versucht, die durchgeknallten Götter in Schach zu halten.

Eine Premiere, die das Publikum begeistert aufnimmt in Zeiten des Putin-Krieges. Dem erweisen die Akteure zum Schluss ohne jede Demo-Peinlichkeit mit einem riesigen Banner „Peace“ in Regenbogenfarben ihre Reverenz und sprechen auch damit allen aus dem Herzen.

Einziger Wermutstropfen: Am 20. März ist die vorläufig letzte Vorstellung dieser bravourösen Inszenierung, die sicher zu einem Renner der Rheinoper würde.

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