Nicht nur Berlin hätte gern einen wie ihn – Martin Schläpfer, Direktor des Ballet am Rhein, ist derzeit einer der aufregendsten und gefragtesten Choreografen und Ballettdirektoren in Deutschland. Vor vier Jahren konnte der gebürtige Schweizer vom Staatstheater Mainz nach Nordrheinwestfalen verpflichtet werden, wo er als Direktor der Tanzsparte der beiden Städte Düsseldorf und Duisburg mit knapp 50 Tänzern eine der größten Compagnien Deutschlands leitet.
Internationale Kritikerumfragen der Zeitschrift tanz nominierten das Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg bereits nach der ersten Spielzeit unter Martin Schläpfer mehrfach zur Kompanie des Jahres und kürte ihn als Direktor darüber hinaus 2010 zum Choreographen des Jahres.
Das dreiteilige Ballettprogramm b.16 feierte im Juli eine umjubelte Premiere an der Deutschen Oper am Rhein und sorgte auch in den Folgevorstellungen für ein ausverkauftes Düsseldorfer Opernhaus. Ab Sonntag, 29. September, um 18.30 Uhr ist der sechszehnte Ballettabend der Ära Schläpfer noch einmal für vier Vorstellungen in Düsseldorf zu sehen, bevor er im November im Theater Duisburg Premiere feiert.
Den Einstieg bildet der erotische Pas de deux „Afternoon of a Faun“ von Choreograph Jerome Robbins, gefolgt von Hans van Manens Stück „Without Words“, in dem eine Frau tänzerisch drei Männern begegnet. Im letzten Teil des Ballettabends ist das jüngst von der Zeitschrift „tanz“ als beste Compagnie des Jahres 2013 ausgezeichnete Ballett am Rhein in großer Besetzung auf der Bühne zu erleben: Martin Schläpfers eigene Kreation „Nacht umstellt“ fordert heraus – zum Erleben von Tanz und einer ungewöhnlichen Verknüpfung von Musiken von Franz Schubert und Salvatore Sciarrino.
Begleitet wird das Ballett am Rhein bei „Afternoon of a Faun“ und „Nacht umstellt“ von den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Wen-Pin Chien. „Without Words“ wird von Operndirektor Stephen Harrison am Klavier interpretiert.
Oft sind es Gegensätze, die sich befruchten, gegeneinander stehende Welten, aus deren Spannungsverhältnis sich etwas Neues ergibt.
Salvatore Sciarrinos Kompositionen beschreibt Martin Schläpfer als eine Musik, die „still steht, in der weder die einzelnen Instrumente noch der Ton an und für sich voll zum Tragen kommen – und doch ist es eine Musik, die in ihrer Intensität ihresgleichen sucht.“ Wie ein Forscher horcht Sciarrino in die Klänge hinein, betrachtet sie wie unter einem Vergrößerungsglas, lässt winzigste Intervall-Spannungen hörbar werden, denn – so Sciarrino – „in gewissem Sinne muss jedes Ding durch das Werden hindurchgehen, um zu unserem Bewusstsein zu dringen“. Der 1947 in Palermo geborene Komponist zählt zu den konsequentesten Querdenkern der zeitgenössischen Musik.
Das Werk Franz Schuberts umkreist Martin Schläpfer in seinen Choreographien immer wieder in seinen Balletten: „Rendering“, „Du bist die Ruh“ aus „Obelisco“ und „Forellenquintett“ interpretieren Kompositionen des Wiener Romantikers – und die Faszination lässt nicht nach. „Schuberts ‚Deutsche Tänze‘ sind schon lange mein Favorit“, erläutert Martin Schläpfer, ebenso wie die „Unvollendete“ h-Moll-Sinfonie, „Musik, die man als Choreograph eigentlich nicht anfassen sollte, und doch beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit dem Gedanken, ein Ballett auf sie zu machen. Sie ist so tänzerisch in all ihrem Verschleudern von Lebensenergie, Schönheit und Trauer, ohne dabei jedoch die energiespendende und seelenheilende Mitte je zu verlieren. Wie ein Strudel, wie ein Tornado rotiert sie und fegt übers Land – und bleibt plötzlich stehen und wird milde wie ein schöner strahlender Stern. Nachtumstellt ist Schuberts ‚Unvollendete‘, nachtumstellt war Schubert als Mensch.“
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b.16 Promotionfoto: FOTO Gert Weigelt / bpk Gemäldegalerie / Jörg P. Anders
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Fotos den Proben von „Nacht umstellt“
Fotos: Gert Weigelt
Hintergrundinformation:
Martin Schläpfer studierte Ballett bei Marianne Fuchs in St. Gallen und an der Royal Ballet School in London. Zu seinen wichtigsten Lehrern gehören Maryon Lane, Terry Westmoreland, David Howard, Gelsey Kirkland und Peter Appel. 1977 gewann er beim Prix de Lausanne den Preis für den besten Schweizer Tänzer und wurde von Heinz Spoerli ins Basler Ballett engagiert, wo er schnell zu einem der charismatischsten Solisten avancierte. In zehn Jahren verließ er das Basler Ballett nur für eine Spielzeit, um ein Engagement beim Royal Winnipeg Ballet in Kanada anzunehmen. 1990 gründete er die Basler Ballettschule Dance Place, an der er zu unterrichten begann. Zeitgleich studierte er Tanzpädagogik bei Anne Woolliams in Zürich und nahm Musikunterricht bei Harriet Cavalli. 1994 wurde er als Direktor zum Berner Ballett berufen und gründete die Stiftung Visions of Dance. Von 1999 bis 2009 leitete Schläpfer das von ihm neu formierte ballettmainz, das unter seiner Direktion in die erste Reihe der deutschen Ballettcompagnien aufrückte. Mehrere seiner Choreographien wurden fürs Fernsehen aufgezeichnet (ZDF/Theaterkanal, 3sat, arte, SWR).
Neben den Aufführungen in den Stammhäusern Düsseldorf und Duisburg tritt die Compagnie regelmäßig bei Gastspielen im In- und Ausland sowie bei internationalen Festivals auf. Mit Jean-Philippe Rameaus Ballettoper „Castor et Pollux“ an der Deutschen Oper am Rhein übernahm Martin Schläpfer 2011/12 erstmals auch eine Opernregie.
Getreu seiner Überzeugung, dass eine Compagnie ihren Direktor und Chefchoreographen vor Ort präsent braucht, nahm Martin Schläpfer von den zahlreichen Einladungen, an anderen Häusern zu choreographieren, bisher nur wenige an. So kreierte er 2008 „Violakonzert/II“ auf Musik von Sofia Gubaidulina für das Bayerische Staatsballett und 2009 „Lontano“ auf die gleichnamige Komposition von György Ligeti für das Niederländische Nationalballett Amsterdam.
Martin Schläpfer erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2002), den Tanzpreis der Spoerli Foundation (2003), den in Moskau verliehenen Prix Benois de la Danse (2006), den Theaterpreis der Düsseldorfer Volksbühne (2012) sowie 2009 und 2012 den deutschen Theaterpreis Der Faust für seine Choreographien „Sinfonien“ sowie „Ein Deutsches Requiem“.
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Es freut mich, von Martin Schläpfer in der SZ zu lesen!
Ich verwende in einer meiner Performances ( ‚tirami su‘ – über das Schokoladenmädchen von J.E. Liotard ) auch das Schubertlied ‚Du bist die Ruh‘.
Gibt es ein Video von‘ Obelisco‘ ?
Mit herzlichem Herbstgruß aus München,
Sabine Kraemer