„Der Meister des linearen Beton“ – So hat ihn der Architekturhistoriker Gottfried Knapp genannt. Doch in seiner Heimatstadt ist er außerhalb der Fachzirkel heute fast vergessen: der Architekt Paul Maximilian Heinrich Schneider von Esleben, kurz Paul Schneider-Esleben oder, wie er sich einst im Kürzel nannte, P.S.E. Am 23. August 2015 wäre er hundert Jahre alt geworden.
Seine Geburtsstadt Düsseldorf und das Architekturmuseum in München, das seinen schriftlichen Nachlass verwaltet, erinnern immer wieder mit Ausstellungen an einen avantgardistischen und vielfach begabten Baukünstler, der mit seinen Bauwerken vor allem in Düsseldorf markante Spuren hinterlassen hat. Auch die Bundeshauptstadt Bonn verdankt ihm einen gelungenen Flughafen mit einem Drive-in-Verkehrskonzept, der noch heute gerade wegen seiner kurzen Wege gerühmt wird. Vom Einfamilienhaus bis zum Flughafen, von der Kirche und Schule bis zu Verwaltungszentren hat P.S.E. ein auffällig breites Spektrum von Bauaufgaben realisieren können. Durch sein Wirken trug er dazu bei, dass sich Düsseldorf einen hohen Rang als Stadt der avantgardistischen Nachkriegsarchitektur sichern konnte.
Die Haniel-Garage in Grafenberg, das Mannesmann-Hochhaus am Rhein, die Rochus-Kirche in Pempelfort, die Rolandschule in Derendorf, das Hochhaus der Commerzbank in der Carlstadt, das ARAG-Hochhaus in Morsenbroich, ein Bürohaus in Goltstein und Wohnhäuser wie Haus Eichhorn in Stockum oder Haus Zindler in Himmelgeist zeugen allein in Düsseldorf von seinem reichen Wirken in den 1950er- und 1960er-Jahren. Das ARAG-Hochhaus wurde Anfang der 1990er-Jahre abgerissen und durch einen größeren Neubau von Norman Foster ersetzt. Doch alle anderen Bauwerke stehen unter Denkmalschutz. Eigentlich möchte man diese sehr verschieden gestalteten Bauten nicht der Handschrift eines einzigen Architekten zuordnen. „Na, Schneider-Esleben, hast Du ‘nen neuen Stil mitgebracht? Mach mal den Koffer auf!“, soll Philip Johnson den Düsseldorfer Architekten regelmäßig in seinem New Yorker Büro begrüßt haben. Das hat der Architekturhistoriker Heinrich Klotz überliefert, der einige Bücher über den Architekten und sein Werk hinterlassen hat.
Schneider-Eslebens Tochter Claudia schilderte 2006 ihren Vater in einer Rede als einen „… gestaltenden Künstler, Zeichner und Maler sowie Entwerfer von Schmuck und Möbeln. Er verfügt über bildhaftes Denken, ein geniales Zeichentalent und eine hohe handwerkliche Solidität. Er ist voller Neugierde, Mut, Impulsivität und Widersprüchlichkeit. Durch seine Sprunghaftigkeit , den Reiz und das Risiko des Neuen hat er mehr Brüche als Kontinuität und Schwankungen im Werk als Arbeitsstil. Er ist ein Einzelgänger, ein Bonvivant mit exaltierter Garderobe, sein Humor ist oft polemisch, in der Arbeit ist er beharrlich, durchsetzungsfähig, fleißig und begabt.“
Paul Schneider-Esleben wuchs in einem katholischen und konservativ-bürgerlichen Elternhaus auf. Sein Vater war Architekt und Restaurator. In den 1930er-Jahren studierte er zunächst Bildhauerei an der Akademie in Düsseldorf und Architektur an der TH in Karlsruhe, später an der TU Darmstadt. In den 1940er-Jahren lässt er als erstgeborener Sohn den Mädchennamen seiner Mutter mit beurkunden und 1994 durch das mütterliche Adelsprädikat ergänzen. Während des Krieges wird er zur Luftwaffe eingezogen, muss also deshalb sein Studium unterbrechen. Nach Aussage seiner Tochter Claudia lernt er in dieser Zeit den Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz kennen und durch ihn wird er mit dem Bauhaus, mit Mies van der Rohe und Walter Gropius vertraut gemacht. Sie werden zu seinen architektonischen Leitbildern. Kurz gerät er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er fliehen kann. 1947 holt er an der TH Stuttgart sein Diplom nach und er heiratet die Schriftstellerin Eva Maria van Diemen-Meyerhof. In jenen frühen Nachkriegsjahren finanziert er den Lebensunterhalt der jungen Familie mit Illustrationen und Karikaturen. Zwischen 1947 und 1949 ist er freier Mitarbeiter von Rudolf Schwarz. Dann stirbt sein Vater, und er übernimmt dessen Büro in Schloss Lembeck, jedoch nur für ein Jahr. Dann zieht es ihn nach Düsseldorf, wo er 1949 ein eigenes Büro eröffnet. Erste Aufträge für architektonische Entwürfe und Möbeldesign erlauben es ihm bereits 1950, sein eigenes Wohnhaus zu planen. Im selben Jahr erhält er auch den Auftrag für die Haniel-Hochgarage
an der Grafenberger Allee.
Das 1953 fertiggestellte Parkhaus, das in Verbindung mit einem Motel geplant wurde, ließ ihn durchstarten. Es prägte das Bauen in der autoverrückten Nachkriegszeit. Wieso ein Parkhaus diesen Durchbruch schaffen konnte, ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. Und doch hat P.S.E. damit ein Bauwerk geschaffen, das nicht nur ästhetisch, sondern auch technologisch seinesgleichen sucht. Er hat, wie Gottfried Knapp schreibt, „die artistischen Möglichkeiten der Stahlbetontechnik bis ins Illusionäre auskosten können.“ Damit wurde er zu einem der wichtigsten Architekten der Republik, denn diese Hochgarage war radikal modern und sie unterschied sich grundlegend von jener eher traditionellen Architektur, welche noch die in der Nazizeit groß gewordenen Architekten umzusetzen versuchten.
An einem in der Mitte des Bauwerks gelegenen, waghalsig an Schrägpfeilern aufgehängten Traggerüst mit weit auskragenden Armen hängen die papierdünn erscheinenden Betondecken, die Zu- und Abfahrtsrampen scheinen an fadendünnen Seilen aufgehängt. Glaspaneele, die bis zum Boden herabreichen, umschließen die tragenden Betonflächen, „so dass ein bisher nie erreichter Eindruck von Transparenz und Leichtigkeit entstand“, so Heinrich Klotz. Er überliefert auch eine Begegnung zwischen dem Bauherrn und dem Architekten. Als der Bauherr Haniel den Architekten fragte, womit das Gebäude denn verkleidet werden solle, antwortete P.S.E., dass der Bau fertig sei. Der Bauherr war sprachlos, dann antwortete er: „Na ja, na ja – wenn das modern ist, dann bitte.“
Der damalige Baudezernent in Düsseldorf, Friedrich Tamms, der in der Nazizeit beratender Architekt der Reichsautobahn und ihrer Tankstellen sowie in der Behörde Albert Speers Generalbauinspektor gewesen war und Schneider-Esleben zuweilen einen Clown-Architekten nannte, konnte sich mit diesem transparenten Glasbau, der, von innen her beleuchtet, nachts wie ein Kristall an der östlichen Einfahrt nach Düsseldorf funkelte, nicht abfinden. Er begann, darauf hinzuarbeiten, eine viergeschossige Häuserzeile rings um das gesamte Parkhaus herum zu planen, damit man das Monstrum im Stadtbild nicht wahrnehmen müsse. Doch der Eigentümer des Grundstücks, Haniel, verweigerte seine Zustimmung. Damit konnte P.S.E. mit seiner Hochgarage sein Zeichen der Moderne gegen jene Architekten setzen, die, in der Vergangenheit geformt, in den frühen 1950er-Jahren in Düsseldorf immer noch das
Sagen hatten.
Im Jahr 1952 schloss sich als nächster Bauauftrag die katholische Kirche St. Rochus in Pempelfort an. Dort hatte seit 1897 die größte Kirche Düsseldorfs gestanden, die mehr als 2.000 Menschen aufnehmen konnte. Diese wurde im Krieg schwer zerstört, und obwohl man sie hätte wieder aufbauen können, entschied man sich für ihren Abriss. Allein der alte Kirchturm blieb, allerdings mit verkürztem Turmhelm, als Mahnmal stehen. Bei diesem Bau sollen der Gemeindepfarrer, Peter-Heinrich Dohr, und Paul Schneider-Esleben zusammengearbeitet haben. In welchem Umfang dies geschah, ist nicht überliefert. Vermutlich stammt das theologische Programm vom Pfarrer. Der einst längsgerichtete Kirchenraum wurde durch einen modernen, eiförmigen Kuppelbau ersetzt. Im Volksmund verankerte sich diese markante Bauform schnell „als Atommeiler Gottes“. Über einem Dreipassgrundriss fügen sich drei Paraboloidschalen einer Spannbetonkonstruktion zu einem zentralen Kuppelbau zusammen.
Außen ist die Kuppel mit Kupferblech bedeckt. Der Bau hat eine Fassade aus rautenförmigen Ziegeln und wird von einem durchlaufenden Wellenband belebt. Fassade und Dachaufbau sind durch ein schmal umlaufendes Lichtband getrennt. Auch wenn P.S.E. die Inneneinrichtung am liebsten selbst gestaltet hätte, wie in so manchen seiner Bauwerke, konnte er sich hier gegen den großen Bildhauer und Akademieprofessor Ewald Mataré nicht durchsetzen, der vom Bauherrn favorisiert wurde. Bei den Sanierungsmaßnahmen in den 1980er-Jahren jedoch konnte P.S.E. noch einige Verbesserungen im Eingangsbereich und auf dem Vorplatz verwirklichen.
1955 gewann P.S.E. den Wettbewerb für die Erweiterung des Mannesmann-Hauptsitzes am Rhein-ufer. Die schlanke, gläserne, 88,5 Meter hohe Scheibe mit 22 Etagen ist zwischen zwei massige ältere Steinbauten geschoben und verschwindet fast zwischen ihnen. Auf Einladung des Unternehmens reiste der Architekt zusammen mit anderen Kollegen in die USA, um vor Ort Bauwerke seines Vorbildes Mies van der Rohe zu studieren. Auch mit diesem Hochhaus, das 1958 fertiggestellt war, hat Schneider-Esleben in Europa einen neuen Maßstab gesetzt. Es war der erste Leichtbau nach dem Muster der Lake-Shore-Appartements in Chicago von Mies van der Rohe, aufgebaut jedoch mit einer völlig neuen Stahlrohrkonstruktion. Die auf Stelzen stehende, schlanke Scheibe des Hochhauses war, so ein zeitgenössischer amerikanischer Architekt, eine der „ersten schlanken Ladies im Stahlkorsett“. Schneider-Esleben griff bei diesem Bau auf ein in den USA entwickeltes Kaltwalzverfahren zurück, das später auch von Mannesmann in Deutschland eingeführt wurde. Das Sandwichpaneel bestand aus der vorderen Blechfläche und einem rückwärts eingesenkten Blechboden. Zwischen den beiden Wandungen liegt eine aufwändige Verbundstruktur mit verschiedenen mineralischen Dämmmaterialien. Die nur 4,2 Zentimeter dünne Wand erhält dadurch die Dämmfähigkeit einer Backsteinwand von 38 Zentimetern. Damit hat P.S.E. die Möglichkeiten der Architektur bis an die Grenzen des damals technisch Möglichen getrieben, und das ist eine seiner Hauptleistungen, die sich mit diesem Bauwerk verbindet. Es ist damit zum Vorläufer der Fertigbauweise geworden.
„Weil ich es allmählich langweilig fand, nun wieder eine Mies´sche Kiste in die Welt zu setzen“, veränderte sich schon mit dem nächsten Düsseldorfer Auftrag von 1957, der Rolandschule in Derendorf, Schneider-Eslebens architektonische Sprache. Die Vierflügelanlage ist um einen Innenhof herum gebaut. In den lichten, von Glasfassaden bestimmten Querflügeln befinden sich die Treppenhäuser, die Längsflügel bergen die Klassenräume. Die Turnhalle ist in einem Nebengebäude untergebracht.
Auch bei dieser Schule zeigte sich Schneider-Eslebens kreatives Potential. Nicht nur, dass er die Schulmöbel entwarf und von Flötotto herstellen ließ, wodurch sie im gesamten Bundesgebiet Verbreitung fanden. Nein, er überredete Künstler aus seinem Freundeskreis zu etwas, was als „Kunst am Bau“ üblich werden sollte. Die Gruppe „ZERO“, also Otto Piene, Günther Uecker und Heinz Mack sowie der eigenwillige Joseph Beuys, erklärte sich gegen geringes Entgelt bereit, Kunstwerke für die Schule zu schaffen. Licht, Farbe und Schattenspiele sollten die Flure in lebendige Räume verwandeln. Doch mit diesen Kunstwerken waren Bezirksregierung, Schulrat und Bauamt nicht einverstanden, „da die Teufelsmaschinen den Kindern nur die Köpfe abhacken würden.“ Die Arbeiten wurden stillgelegt. Die Beuys‘sche Arbeit, ein großer Hampelmann aus Holz und Stricken – eigentlich für den Innenhof konzipiert –, wurde gar auseinandergenommen und zu Beuys nach Hause geschickt. Von hier aus landete sie kurz darauf für das Zehnfache des Preises in der Sammlung Ströer.
Mit seinen späteren Bauwerken, der Commerzbank von 1959, dem Flughafen Köln/Bonn von 1961 und dem ARAG-Terassenhochhaus von 1961, der Sparkasse in Wuppertal sowie seinen Wohnhäusern der 1960er-Jahre schuf Paul Schneider-Esleben unverändert höchst individualistische und bemerkenswerte Bauwerke. Und doch markierten sie nicht mehr in gleichem Maße eine neue Zeit wir jene Bauten der 1950er-Jahre. Nun befasste er sich mehr noch als ein Jahrzehnt davor neben seiner Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg mit zahlreichen internationalen Aufträgen, so dass DER SPIEGEL ihm den Spitznamen „Schneider-Jetleben“ gab. Der Umbau eines alten Weinguts in Südfrankreich in den 1970er-Jahren und die Verlegung seines Landsitzes auf einen mittelalterlichen Einfirstbauernhof in der Nähe des Schliersees veränderten sein Arbeiten und sein Leben. Er heiratete ein zweites Mal und zog in die Nähe des Chiemsees, wo er am 19. Mai 2005 starb und auch begraben ist. Sein letztes Bauwerk war eine Kapelle auf jenem Gut, das er in den zwei Jahrzehnten davor umzubauen begonnen hatte, „entworfen in Form einer Spirale, dem Symbol für Unendlichkeit“, so Claudia Schneider-Esleben.
Brigitte Lohkamp
2.3K Views
Hinterlasse eine Antwort