Im Rosenmontagszug 2014 verpasste Jacques Tilly der Großen Koalition, den Salafisten, Putin und Obama, dem ADAC und Alice Schwarzer schallende Ohrfeigen. Satire kann wehtun, besonders wenn man sie mit großer Kelle serviert wie Jacques Tilly. Tilly teilt aus, dass es kracht. Und die bösen Bilder, die er projiziert, gehen um die Welt. Dieses Jahr zählte Jacques weltweit mehr als 130 Veröffentlichungen seiner Wagen, darunter Titelseiten auf allen Kontinenten. Da vergisst der Künstler glatt die ihm eigene Bescheidenheit: „So viele Veröffentlichungen hatte Düsseldorf seit dem Eurovision Song Contest nicht.“

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Entspannung in der Wagenbauhalle, kurz vor Rosenmontag: Jacques Tilli („… ich bin ein Schnellleser …“) gönnt sich eine Pause in seiner geliebten Hängematte

Er ist der Mann, der dem Düsseldorfer Karneval Geltung verleiht, eine Aussage, die er energisch zurückweisen würde, was jedoch am Wahrheitsgehalt nichts ändert. Wenn Düsseldorf in den Veröffentlichungen regelmäßig vor Köln und Mainz rangiert, dann wegen Jacques Tilly. Im Fernsehen dominiert indes regelmäßig der uninspirierte Kölner Zug, was dem WDR geschuldet ist, der Köln für den Nabel der Welt hält.

Tilly ist bissig. Dabei war er doch als Kind völlig verhaltensunauffällig. „Ich war ziemlich brav“, erinnert sich Jacques, „war in der Klasse nicht der Meinungsführer, war eher Eigenbrötler, verschlossen, regelrecht introvertiert.“

Im Sternzeichen Krebs Geborenen schreibt man Intuition und Feinfühligkeit zu. Das passt auf Jacques, dem unter dem Aszendenten Löwe geborenen 50-Jährigen. Der kleine Jacques war ein Träumerchen, das lange brauchte, bis es den Anschluss an die Wirklichkeit fand. „Ich habe sehr lange Kinderbücher gelesen“, bekennt Jacques, „war ein regelrechter Spätzünder.“

Die Antenne für das andere Geschlecht fuhr er indes recht früh aus, mit zehn war er verliebt, mit zwölf hatte er eine Freundin. Heute hat unser Karnevalssuperstar zwei Kinder, Camillo (15) und Valentin (12), eine Frau hat er nicht, das heißt: keine Ehefrau. Mit seiner Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder, Ricarda Hinz (47), einer Dokumentarfilmerin und Malerin, sitzt er zusammen in Gremien der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung, Jacques im Kuratorium, Ricarda im Beirat. Religiös bedingte Konventionen lehnen daher beide ab.

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„Ricarda ist eine hervorragende Köchin“, sagt Jacques, der selbst am liebsten Porridge ist

Den Kindern hat’s nicht geschadet. Valentin kommt auf den Vater, „manchmal denke ich, er ist eine kleine Kopie von mir“, schmunzelt Jacques. Valentin bastelt für sein Leben gern und „ist genau so projektverrückt wie ich“. Der Große, Camillo, sucht – mit Sondergenehmigung – schon jung das Glück am Himmel. Er ist Segelflieger, was Jacques stolz macht. Camillo ist der eher Ruhige, „sehr vernünftig und zurückhaltend.“

Jacques und Ricarda haben, das wundert nicht bei den Freigeistern, ihre Kinder sehr liberal erzogen, mit lockerer Hand, aber liebevoll gesetzten Regeln.

Die Kinder werden nicht auf ein Podest gestellt, sie sind einfach Teil der Familie. Und die hat eine Reihe von Vorlieben. Eine davon: Die ganze Familie kuschelt sich gern mal ins breite Bett, bewaffnet mit Chips und allem, was sonst noch ungesund ist – und guckt gemeinsam Filme. Familienfavoriten derzeit sind der SciFi-Thriller „Oblivion“, der heiter-besinnliche Film „Schties“ oder „Ziemlich beste Freunde“. Lieblingsserie ist die „Big Bang Theory“ auf Pro7 und natürlich verpasst die Familie keine „Stromberg“-Folge.

Bewegte Bilder sprechen nicht nur die Filmemacherin Ricarda, sondern auch den Künstler Jacques an, der schon immer eine hohe Affinität zum Visuellen hatte. Die berufliche Entscheidung des studierten Kommunikationsdesigners (Folkwang, Essen) war damals die zwischen Wort und Bild. Zunächst wollte er Journalist werden …

Gut für den Düsseldorfer Karneval, dass er sich anders entschieden hat.

Zwischen Sommer und Rosenmontag produziert Jacques Hunderte Entwürfe und baut mit seinem Fünfmannteam – in der heißen Phase sind es mehr als ein Dutzend – einen Großteil des Düsseldorfer Rosenmontagszuges. Die größte Herausforderung sind jedes Jahr die politischen Mottowagen: In drei Wochen entstehen elf topaktuelle Motive. Wer in Anbetracht dieser auch logistisch bedeutenden Leistung seine Fähigkeiten als Künstler, Manager und Motivator thematisiert, hört von ihm nur ein abwiegelndes: „Na ja, da muss man schon den Überblick behalten, aber das schaffen wir immer irgendwie.“

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Doch in der heißen Phase sieht sich auch der routinierte Jacques Tilly schon mal am Rande der Belastbarkeit. Jetzt, wo Josef Hinkel im Karneval den Ton angibt, sei es ein wenig entspannter als unter dem kürzlich verstorbenen langjährigen CC-Geschäftsführer Jürgen Rieck, der gern im letzten Moment noch mal dazwischengrätschte. Allerdings, so Jacques: „Er hat entscheidend mitgeholfen, die Satire-Standards im Düsseldorfer Karneval zu etablieren, er hat mir den Rücken immer freigehalten.“

Tillys Arbeit wird anerkannt: Er ist Träger der Klinzing- und der Leo-Statz-Plakette und center.tv wählte ihn im letzten Jahr in der Rubrik Kultur zum „Düsseldorfer des Jahres“. Das bedeutet dem uneitlen Künstler, der weder auf Kleidung noch auf die Marke seines Autos Wert legt, sehr viel, besonders deshalb, weil als Laudator jemand auftrat, den er schon immer schätzte und bewunderte: Kabarettist Jürgen Becker. „Der ist für mich die größte Autorität im Humorbereich und dabei sehr menschlich und warmherzig geblieben.“

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Jacques Tilly bei der Auszeichnung zum „Düsseldorfer des Jahres“ von center.tv: „Die Laudatio von Jürgen Becker – das war für mich wie ein Ritterschlag.“

Uneitel auch Jacques Tillys Selbsteinschätzung: „Ich stufe mich nicht als Intellektuellen ein.“ Er sei lediglich ein interessierter und neugieriger Mensch. Wer jemals mit ihm diskutiert hat, wird da energisch widersprechen.

Politisch hat sich unser Lieblingskünstler nie Radikalem zugeneigt, nicht mal früher mit Jusos sympathisiert: „Ich bin eigentlich Wechselwähler“, sagt Jacques. Er sieht sich als „Demokrat und Verfassungspatriot“. Was ihn tief empört: „… wenn gesellschaftliche Hoffnungen zerstört werden, wie im ‚Islamischen Frühling‘.“ Es sei traurig, was in Syrien oder in Ägypten passiere. Eines seiner Lieblingswagenmotive ist „Der Selbstmordattentäter – Klischee und Wirklichkeit“ von 2007. Zwei exakt gleich aussehende bewaffnete Islamisten bestätigen, dass Negativurteil und Realität deckungsgleich sind.

Politik hin, Kritk her: „Karneval ist eine Hommage an die Lebensfreude“, sagt Jacques. Seine Themen versuche er auf ein Maß zu bringen, das Menschen gefällt: „Wenn nicht, habe ich schlecht gearbeitet, und ich arbeite ausschließlich für die Massen am Straßenrand.“ Er will keine Politik machen, sondern „widerspiegeln, was die Stimmungslage ist.“

Als Künstler sieht der studierte Kommunikationsdesigner sich nicht: „Der Kunstmarkt ist ein kulturelles Ghetto, zu abgeschottet, ich will immer angewandte Dinge tun, die kommunikative Aufgaben erfüllen.“

Jacques Tilly ist ein absolutes Arbeitstier. Selbst im Urlaub skribbelt er schon Entwürfe für die nächste Karnevalssession. Die Tilly-Familie urlaubt gern FKK in Frankreich oder im familieneigenen verwinkelten „Hexenhäuschen“ in Ligurien, das idyllisch mitten in einem kleinen Örtchen liegt: „… für die Familie der schönste Ort der Welt, rundherum üppige Vegetation und geheimnisvolle Schluchten.“ Urlaub für den Kopf braucht Jacques Tilly täglich. Das ist für ihn Yoga am Morgen und das Joggen. Kopfhörer auf und los, am liebsten zum großen Brückenlauf – über die Nordbrücke, rechtsrheinisch an der Tonhalle vorbei und zurück über die Kniebrücke. Am liebsten hört er dabei elektronische Musik. „Dann bin ich ganz bei mir“, sagt der überzeugte Düsseldorfer, der helfen will, „Düsseldorf stark zu machen“.

Düsseldorf ist für ihn in jeder Beziehung Heimat. Das Wesen der Düsseldorfer – rheinisch-tolerant, redselig, „ohne die patriotische Besoffenheit der Kölner“ – liege ihm. Ganz schlecht allerdings sei die Außenwirkung – Stichwort Schickimicki. Dem will er, so gut es geht, entgegenwirken.

Mit der Arbeit wird Jacques Tilly nicht reich, sagt er. Manchmal denke er, das „Finanzielle müsse doch stärker gewürdigt“ werden. Der Mann, der kein Künstler sein will, freut sich alternativ über das „Brot des Künstlers“: Zuspruch und Anerkennung. Die erfährt er schon mal, wenn er – natürlich ausnahmsweise – mal zu schnell fährt. Ein Polizist hielt ihn kurz vor der letzten „fünften Jahreszeit“ deshalb an. Als er den Namen sah, griente er: „Da will ich Sie mal nicht aufhalten, schnell in die Wagenbauhalle und zeigen Sie’s den Kölnern!“. Gibt es eine schönere Form der Anerkennung?

– Wolfgang Osinski –

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Eine Antwort

  1. Jopen-Online

    Jaques Tilly ist der gelebte Karneval in Düsseldorf! Sogar wir aus dem entfernten Provinznest Mönchengladbach bekommen viel von seinem Schaffen mit. Was wäre der Düsseldorfer Karneval ohne ihn?

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