Er hat die Stimme des anderen. Wenn du die Augen schließt und Andy Rühls Interpretation von „Ich war noch niemals in New York“ oder „Griechischer Wein“ lauschst, wärest du bereit, darauf zu wetten, das Original zu hören: Udo Jürgens! Du öffnest die Augen und siehst Andy Rühl – mit der Körpersprache, dem Habitus und der Stimme des großen Entertainers. In Düsseldorf hatten erst jüngst die Besucher des Prinzenballs dieses Déjà-vu-Erlebnis.
Der Vollblutmusiker Andy Rühl gilt als Top-Interpret von Udo Jürgens und dessen Repertoire. Sein großes Vorbild hat ihm quasi den Ritterschlag erteilt und ihn schon 1988 ins Fernsehen geholt, zum gemeinsamen Auftritt in der ZDF-Show „Tele-As“. Sie trafen sich seitdem – bis zu Jürgens‘ Tod im Dezember 2014 – mit gewisser Regelmäßigkeit immer wieder einmal, feierten beim Oktoberfest, standen gelegentlich gemeinsam auf der Bühne oder plauderten freundschaftlich am Rande von Musikfestivals am Wörthersee.
„Entdeckt“ hatte Udo Jürgens sein Alter Ego in München, wo Andy Rühl – inzwischen seit mehr als 20 Jahren Wahl-Düsseldorfer – seit Mitte der 1980er-Jahre sein Geld als Pianist, Sänger und Entertainer in den zahlreichen Bars der bayerischen Landeshauptstadt verdiente. Andy erinnert sich, als sei es erst gestern gewesen: Es war 1988, Familie Jürgens hatte im Künstlerlokal Bei Roy am Sendlinger Tor einen großen Tisch reserviert, Andy hatte „Dienst“ am Piano und traute sich irgendwann dann doch an ein paar Lieder seines großen Vorbilds heran: „Ich habe einfach mein Bestes gegeben. Für Udo.“ Und Udo stand plötzlich vor ihm, meinte: „Schönes Lied hast du da grad gespielt“, lud ihn an seinen Tisch. Der Beginn einer wirklichen Freundschaft.
Wenn er erzählt, hört es sich an, als habe Andy Rühl von Kindesbeinen an in der hessischen Provinz auf diese Begegnung hingearbeitet. Musikunterricht seit dem sechsten Lebensjahr, die ganze Palette: Blockflöte, Akkordeon, Orgel, schließlich Klavier, Gesangsunterricht. Erste Auftritte mit 11 Jahren, das eigene Akkordeon-Orchester, erste eigene Kompositionen mit 16, mit 17 eine Anstellung als Kirchenorganist. Und die meiste Zeit war Udo Jürgens immer irgendwie dabei. Als Neunjähriger – „Bis dahin war ich Peter-Alexander-Fan.“ – stieß der kleine Andy auf die Musik von Udo Jürgens, danach „habe ich alles von ihm aufgesogen. Ich wollte ihn nicht kopieren, ich wollte ihm nicht ähnlich sein – ich wollte ER sein.“ Wenn die gleichaltrigen Mitschüler Fußball spielten oder über den Hausaufgaben büffelten, legte der Dreikäsehoch Udo-Platten auf, sang die Songs mit, übte „auf Udo“. Glückliche Fügung: Nach dem Stimmbruch verfügte Andy über die passende Bariton-Stimmlage und feilte weiter an seiner „Stimme des anderen“. Als Heranwachsender eiferte er seinem Star auch äußerlich nach, legte sich Smoking und rotes Halstuch zu.
In seinen Münchener Jahren schließlich gelang dem vielseitigen Musiktalent der Durchbruch als Udo Jürgens Zwo sowie als gefragter Komponist, Arrangeur und Bandleader. Er hat bei Geburtstagsfeiern von Regine Sixt und Gerd Käfer gesungen, auch auf der Hochzeit von Jürgen Wussow und beim „Kaiser“: Große Sause im Salzburger Land, als Franz Beckenbauer 66 wurde. Welcher Jürgens-Titel bei dieser Gelegenheit ganz vorn stand, lässt sich leicht erraten. Und selbst bei einem Geburtstag von Udo Jürgens saß Andy Rühl am Klavier und sang Jürgens.
1994 dann der Umzug von der Isar an den Rhein: „München ist München, aber drumherum ist sonst nicht viel los – und ich war schon immer ein Fan Düsseldorfs.“ Chic (nicht schick!) und herzlich sei die Stadt. Von hier aus reist er zu seinen zahlreichen Konzerten, „50 bis 60 Auftritte pro Jahr sind es.“ Bei Galas und Sportlerbällen ist er gefragt. Im letzten Jahr standen nach dem Tod von Udo Jürgens vor allem in Österreich viele Tribute-Veranstaltungen auf dem Programm, bei denen sich die Fans bei Andy Rühls Auftritten von ihrem Idol verabschiedeten.
Seine ganz persönlichen Lieblingslieder seines großen Vorbilds sind die eher weniger bekannten: „Wie könnt‘ ich von dir gehen?“ gehört dazu, „Ihr Lieben daheim“ und „Mein Ziel“. Die Fans, insbesondere die weiblichen, fordern bei Rühls Auftritten eher die wohlvertrauten „Gassenhauer“ wie „Griechischer Wein“ oder „Aber bitte mit Sahne“ und natürlich „Ich war noch niemals in New York“. Dann kommt es auch schon mal vor, dass das Publikum ihn beim letzten Lied im weißen Bademantel am Klavier sehen will: „Der gehört eigentlich nicht zu meiner Garderobe, aber dann treiben die Veranstalter meist einen Bademantel aus der Requisite oder aus dem benachbarten Hotel auf.“
Jenny Jürgens, die Tochter des verstorbenen Superstars, sagt über den Düsseldorfer: „Andy Rühl ist wohl der beste Udo-Jürgens-Interpret, den ich kenne – auch mein Vater verehrte seine Ernsthaftigkeit und Professionalität. Lieber Andy Rühl, danke, dass Du immer wieder auf so wundervolle Art und Weise meines Vaters gedenkst. Du lebst und liebst seine Musik wie wir alle.“
Gibt es ein Leben nach Udo Jürgens, ohne Udo Jürgens für Andy Rühl? Seine solide und umfassende künstlerische Ausbildung sichert ihm ohnehin ein breites Fundament. Er hat Beatles-Melodien für Big Bands arrangiert, war Vocal Coach für Conchita Wurst und hat über die Jahre rund 200 eigene Songs geschrieben. Eine einzige CD hat er bisher eingespielt, mit Udo-Jürgens-Liedern – „aber nur zu Werbezwecken.“ Es hört sich beinahe so an, als könne es bald ein echtes Andy-Rühl-Album geben, mit eigenen Komposi-tionen. Man darf gespannt sein, wie seine Stimme dann klingt. Bernd Holzrichter
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