Das schwärzlich glänzende Kochmesser, ausgestattet mit einer 18 cm langen Klinge, liegt federleicht in der Hand. Der Griff aus Juma Ivory – einem Material wie Elfenbein, auch optisch – ist ein echter Handschmeichler, glatt wie Klavierlack. Das ideale Messer für Frauenhände, möchte man meinen. Falsch, völlig falsch.

Frauen fürchten dieses Nesmuk Messer, zumindest die meisten. Es ist die Schärfe, die ihnen Angst macht. Die Messer der Solinger Edelmanufaktur Nesmuk sind die bissigsten und schärfsten Schneidwerkzeuge, die unsere östlichen Nachbarn mit der langen Messertradition aufzubieten haben. Seit dem 14. Jahrhundert schmiedete man hier Schwerter, heute Werkzeug für Küchen-Cowboys.

Nesmuk Messer

Walter Grave hat mit dem Nesmuk-Team in nur acht Jahren das vielleicht schärfste Messer der Welt entwickelt.

„Männer sind fasziniert“, schildert Walter Grave seine Beobachtung bei Messeauftritten, „Frauen erschrecken sich erst bei dem Preis von rund 500 Euro, dann graut es den meisten vor der Schärfe.“ 500 Euro? Für Schuhe – ja, aber für ein Messer, an dem man sich schneiden könnte?

Grave, Mitinhaber einer Düsseldorfer Werbeagentur, ist ein Mann mit einer selbst gestellten Mission: „Ich wollte das schärfste Messer der Welt herstellen“. Nun könnte man meinen, es gäbe doch hinreichend viele scharfe Messer, bislang konnte man noch alles zerteilen, was in die Küche kam.

Die übrigen Messerhersteller Solingens und sonst wo in der Welt wären auch unter sich geblieben, wenn Grave, ein schlanker Zweimetermann, nicht so etwas wie ein Erweckungserlebnis gehabt hätte. Vor acht Jahren besuchte der begeisterte Bogenschütze eine Minimesse für Bogen- und Messermacher in Wolfenbüttel. An einem kleinen Stand präsentierte dort ein Schmied mit großem Geschick und leidenschaftlichem Qualitätsanspruch seine Jagdmesser: handwerkliche Juwele, scharf und edel im Design. Grave war fasziniert, man sprach lange und wenig später war Grave im Messergeschäft und der Schmied ließ Jagdmesser (Grave: „Dafür gibt es nur einen kleinen Markt.“) links liegen und tüftelte mit Grave an idealen Küchenmessern.

Heute, nach acht Jahren der Entwicklung, sieht die Edelmanufaktur sich am Ziel: „Wir werden im nächsten Jahrzehnt kein weiteres Design entwickeln, allenfalls mit verbesserten Schleiftechniken und Stählen arbeiten.“ Auf dem Weg zum Maßstäbe setzenden Messer hat das Nesmuk-Team „unvorstellbar viel Know-how gesammelt und Liebe zum Detail aufgebracht“. Als Quereinsteiger, sagt Grave, hätte er „total unvorbelastet gesucht, wer was kann, wer was besser kann.“

Nesmuk

Stephan Borchert holt mit dem Kochmesser aus und zerteilt ein mittig gefaltetes Blatt Papier wie mit einem Samuraischwert

Der Nesmuk-Betriebsleiter, Stephan Borchert (35), macht sich einen Spaß daraus, die Schärfe der Messer zu demonstrieren: Ein in der Länge gefaltetes und hochkant aufgestelltes DIN-A4- Blatt fällt, an der geknifften Kante vom Kochmesser getroffen, in zwei Stücke zerteilt zu Boden. Der Wow-Effekt.

Borchert, auch er ein Quereinsteiger, hat Politikwissenschaft und Soziologie studiert und war Assi bei einem Bundestagsabgeordneten. Daheim in Quedlinburg, Sachsen-Anhalt, hatte der Opa, ein Fleischermeister, im Beisein des Jungen immer mit Hingabe seine Messer geschärft. Borchert: „Und mit vier Jahren hat er mir mein erstes Taschenmesser geschenkt, seitdem liebe ich Messer.“ Borchert ist der detailverliebte Metallexperte des Hauses Nesmuk. Der Autodidakt ist der Kompetenzträger des Hauses in Sachen Metallurgie. Stahlsorten, Härtegrade, Schmiedetechniken, Zahlen, Daten, Fakten – der ideale Telefonkandidat für „Wer wird Millionär?“.

Was aber macht ein Messer zu einem scharfen Messer? Beste Härte und Zähigkeit des verwendeten Stahls sind die Grundbedingung. Der Rest ist Schmiedekunst. Der Nesmuk-Spezialstahl mit einem beträchtlichen Anteil des Schwermetalls Niob, das den Stahl zäh und fest macht, wurde in einem Spezialbetrieb in Witten an der Ruhr entwickelt, ursprünglich für die industriell verwendeten Kuttermesser, die etwa bei der Fleischverarbeitung zum Einsatz kommen. Wir schauen zu, wie die Nesmuks ihre Paradestücke produzieren, die bis zu 4.900 Euro teuren Damastmesser.

Nesmuk-Schmiede

Schmied Markus Pattschull (42) kontrolliert mit dem rechten Fuß, wie oft der 85 kg schwere Lufthammer auf das „Paket“ aus Kohlenstoffstahl einschlägt – im Schnitt 200-mal pro Minute

In der Schmiede des modernen Gebäudes hämmert, gebettet auf Kunststoffmatten in einer eigens mit 20 Tonnen Beton geschaffenen und vom Rest des Gebäudes entkoppelten Wanne, ein Lufthammer der Firma Beché aus den 1930er Jahren auf rotglühenden Stahl ein. Die 85 Kilo rammen mit 200 Schlägen pro Minute auf ein „Paket“ aus bestem Kohlenstoffstahl ein, das Schmied Markus Pattschull (42) an einer Stange hält. Kräftige Muskeln hat der Mann, der nicht nur mit seinem Beruf, sondern auch mit den Hobbys so individuell ist wie die Messer, die er produziert. Pattschull ist Diplombiologe, Yogalehrer und ernährt sich vegan.

Nesmuk Messer

Immer wieder schiebt er das Stahlpaket, nachdem es abgekühlt ist, in die Gasesse, wo es bei 1.100 bis 1.200 Grad Celsius schmiedeweich wird. Lage um Lage wird übereinandergeschichtet. Zwischen 400 und 500 Lagen hat ein Damastmesser, das durch Stahlqualität und Schliff seine besondere Schärfe erhält. Stephan Borchert kommentiert den Vorgang nüchtern: „Hier geben wir einer anorganischen Sache eine organische Struktur“. Der Schmied steuert den Hammer mit einem Fußhebel, hier scheint Gefühl gefragt. Walter Grave bestätigt: „Da kann eine Tagesproduktion auch mal den Bach runtergehen.“

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Eine Nesmuk-Besonderheit ist das Diamor®– Messer. Bei der Entwicklung hat das Fraunhofer Institut, Dresden, mitgewirkt. Resultat ist eine überragende Schneidhaltigkeit. Der doppelseitige Hohlschliff wird mit einem 1,5 μ dicken diamantähnlichen Kohlenstoff beschichtet, der achtmal härter ist als rostbeständiger Klingenstahl und halb so hart wie ein Diamant. Dieses Messer bleibt deutlich länger scharf als jedes andere. Bei Nesmuk nennt man es den „Marathonläufer“.

Nesmuk MesserDie Nesmuk-Messer, unter anderem erhältlich im Fachgeschäft Börgermann in der Altstadt, sollen Messer fürs Leben sein, höchste Qualität für den Alltag. Dafür werfen die Solinger Neueinsteiger mehr als nur einen prüfenden Blick auf ihre Schneidgeräte, bevor sie in die eleganten schwarzen Schatullen gebettet werden. „Jedes Messer wird mit der Lupe unter vier verschiedenen Lichtquellen begutachtet, bevor es rausgeht“, sagt Borchert. Die Aufmerksamkeit gilt auch dem Griff: 18 verschiedene Varianten bietet Nesmuk an, u.a. afrikanisches Grenadill, Walnussmaserholz, weißes Ebenholz oder die Mooreiche aus einem subfossilen Eichenstamm. Derzeit liegt für die Solinger wieder ein neu entdeckter Stamm in einer Trockenkammer. Zwei Jahre wird’s noch dauern, bis er verarbeitet werden kann. Bei so viel Qualitätsbewusstsein darf der Kunde auch ein Echtheitszertifikat erwarten. Das bekommt er – und noch etwas dazu: Der 30-jährige kostenlose Nachschärfservice ist inklusive.

Text: Wolfgang Osinski
Fotos: Hojabr Riahi

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